In den letzten Blogs habt ihr meine Protagonistin Vilca
kennen gelernt. Nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie ein Designerkind
ist, musste sie sich für oder gegen ihre Eltern entscheiden. Letztendlich hat
sie sich für die Liebe zu ihren Eltern und für ihre Karriere als Sängerin entschieden.
Aber es war denkbar knapp. Ich muss gestehen, dass es mich dramaturgisch
gesehen schon gereizt hat, die andere Seite zu beschreiben. Sie hätte ihre
Eltern durchaus auch dafür hassen können, dass sie ihre Gene designed und damit
ihr Aussehen und ihre Persönlichkeit vollständig bestimmt hatten. Dann hätte
sie als Strafe versucht den Körper (also sich selbst) mit Sex, Drugs, Rock n’Roll
und so weiter, zu zerstören. Vielleicht sogar mit einem Selbstmordversuch am
Schluss, bei dem sie erst im letzten Moment unter höchst dramatischen Umständen
gerettet wird. Aber so was Düsteres wollte ich in meinem ersten Buch dann doch
nicht schreiben.
Mittlerweile ist Vilca ca. 16 Jahre alt und es wird Zeit,
dass sie ihren Freund kennenlernt. Ich habe lange überlegt, wie die beiden
Hauptfiguren meiner Geschichte sich kennenlernen. Die Frage, die sich mir
stellte war, wie lernen sich Menschen in der Mitte des 21. Jahrhunderts kennen?
Nur noch übers Internet unter Einsatz von Partnersuchbörsen, deren Algorithmen
bis dahin so durchoptimiert sind, dass die Computer garantiert immer den
perfekten Partner für uns finden? Oder gibt es dann noch Menschen, die das
Abenteuer suchen und dem Zufall eine Chance geben wollen und ganz altmodisch
auf Partys, in Konzerte, Bars oder Waschsaloons gehen, um sich kennenzulernen?
Für Vilca sollte es eigentlich nicht so schwierig sein.
Sie ist bildhübsch, feiert als Sängerin bereits erste Erfolge und ist die
Tochter reicher Eltern. Bei diesen Voraussetzungen lassen sich die Jungs auch
nicht von ihrem hohen IQ abschrecken. An der Uni liegen sie ihr Scharenweise
zu Füßen. Dummerweise ist genau der eine, in den sie sich spontan verliebt hat,
an ihr überhaupt nicht interessiert. Trotz aller Bemühungen, ihn auf sich
aufmerksam zu machen, hat er sie bis jetzt noch gar nicht bemerkt. Denkt sie. Umso
erfreuter ist Vilca, als Sam ihr in der Tanzschule als ihr neuer Partner vorgestellt
wird. Vilca hat einen ziemlichen Verschleiß an Tanzpartnern. Sie nimmt alles,
was zu ihrer Karriere gehört, sehr ernst und für die Meisten Jungs ist ihr
Tanzprogramm auf Dauer zu anstrengend. Jetzt glaubt sie sich endlich am Ziel
aber…. am besten lest selbst weiter.
Tanzstunde
„Das tut mir leid für Miguel", sagte Vilca zu ihrer Tanzlehrerin. "Bitte
richte ihm aus, dass ich ihm gute Besserung wünsche“.
Tatsächlich bedauerte sie Miguels Verletzung, aber trotzdem konnte Vilca ihre
Vorfreude, jetzt gleich mit Sam tanzen zu können, kaum verhehlen.
Auch Sam konnte kaum glauben, wer seine neue Tanzpartnerin war. Vor ein
paar Wochen hatte er sich in der Tanzschule als Hospitant gemeldet. Er war ein
leidenschaftlicher Tänzer und er wollte hier in Berlin nicht aus der Übung
kommen. Normalerweise hätte er das auch als eine gute Gelegenheit betrachtet,
Mädchen kennenzulernen aber im Moment stand ihm nicht so sehr der Sinn nach
neuen Beziehungen. Nachdem die Tanzlehrerin sie einander vorgestellt hatte und
sie sich begrüßt hatten, stand jetzt er hier mit dem bestimmt hübschesten
Mädchen der Uni im Arm und sollte mit ihr Tanzen.
„Na, wie ist es, mal was anderes als ein Smartcom in den Händen zu
halten“, fragte ihn Vilca unvermittelt und etwas übermütig. Dabei hatte sie das
„Na“ ganz besonders gedehnt.
Sam hatte alles Mögliche erwartet, aber nicht diese Frage. Er war davon
so überrascht, dass er seinen ersten Tanzschritt verstolperte.
In der letzten Zeit hatte er intensiv an einer Idee gearbeitet und praktisch
jede freie Minute damit verbracht. Das war ihm gar nicht so bewusst geworden.
Dass Vilca ihn darauf angesprochen hatte, machte ihm schlagartig zwei Dinge
klar. Zum einen war es kein Wunder, dass er sich schwer getan hatte in Berlin
Anschluss zu finden. Noch viel interessanter fand er allerdings die Tatsache,
dass es ihr aufgefallen war. Er hatte von Vilca eigentlich nur so am Rande
Notiz genommen. Sie ganz zu übersehen war praktisch unmöglich, denn sie zog, wo
immer sie auftauchte, immer viel Aufmerksamkeit auf sich. Aber er hielt sie für
so ein typisches It-Girl das von einem US-Amerikaner wie ihm, mit Indianergenen
im Blut, sowieso nichts wissen wollte. Deshalb hatte er keinen weiteren
Gedanken an sie verschwendet.
Das fängt ja gut an, dachte Vilca. Sie konnte sich eine Bemerkung über
den verstolperten Beginn nicht verkneifen, während sie ihn schalkhaft
anlächelte. „Ich sehe schon, ohne dein Smartcom fällt es dir schwer dich zu
konzentrieren, oder lenk ich dich zu sehr ab?“
„Entschuldigung“, war alles was Sam dazu einfiel. Danach war er voll bei
der Sache und es lief sehr viel besser.
Die Tanzstunde endete ganz und
gar nicht so, wie Vilca sich das vorgestellt hatte. Sam hatte nicht einmal nach
einem Date gefragt. Das war ihr noch nie passiert. Vilca hatte es sich zum
Prinzip gemacht, nie die Erste Einladung anzunehmen. Aber dazu musste sie in
der Regel mindestens gefühlte zehn Mal nein sagen. Bei ihm hätte sie gerne eine
Ausnahme gemacht. Und jetzt hatte ausgerechnet er sie nicht ein Mal gefragt.